Sprache fühlen – Gedichte verfassen
Gedichte begeistern. Sie stecken voller Sprache und Poesie, regen die Fantasie an und werfen philosophische Fragen auf. Gedichte sind vielfältig und eignen sich durch ihre überschaubare Textlänge sowie eingängige Reime und Rhythmen für den Unterricht in der Grundschule. Gedichte sind mehr als eine Form des Erzählens.
Die Textsorte Gedicht ist in allen Klassenstufen der Grundschule fester Bestandteil des Deutschunterrichts. Bereits im Vorschulalter lernen viele Kinder mit Begeisterung Verse und Gedichte auswendig. Dabei entwickeln sie ihr Sprachbewusstsein und entdecken Freude an Reimwörtern. Neben bekannten klassischen Kindergedichten (z.B. „Die drei Spatzen“, „Vom Büblein auf dem Eis“, „Das Feuer“) lohnt es sich unbedingt auch neuere oder weniger bekannte Gedichte in den Unterricht einzubeziehen. Gedichtbände für Kinder sind eine wahre Fundgrube für den integrativen Deutschunterricht, da sie nicht nur literarisches Wissen aufbauen, sondern die Freude am Umgang mit Sprache fördern. Die poetisch-lyrische Sprache von Gedichten regt dazu an, über Sprache nachzudenken, den individuellen Wortschatz zu erweitern, Wörter kreativ zu nutzen (vgl. → Wortschatzarbeit) und die Ausdrucksfähigkeit der Kinder zu entwickeln. Gerade in heterogenen Klassen können Gedichte Ausgangspunkte für Spracherfahrungen sein, indem sie den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, persönliche Erfahrungen und Perspektiven poetisch zu reflektieren (vgl. → Gedichtwerkstatt). Das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität der Kinder kann somit gewinnbringend gefördert werden. Nicht nur das Lesen und Kennenlernen von Gedichten spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Das Verfassen eigener Reime, Verse und Gedichte ist nicht nur ein motivierender Lernanlass, sondern bietet eine Möglichkeit individuellen Lernens. Die Interessen der Kinder finden hierbei ebenso Beachtung wie das literarische Vorwissen und der Sprachstand.
siehe auch
Wissen über Gedichte aufbauen
Indem wir mit Kindern Gedichte lesen und darüber sprechen, können wir Freude an den unterschiedlichen Gedichtformen wecken sowie auf Besonderheiten lyrischen Erzählens und Beschreibens aufmerksam machen. Es bietet sich an, Gedichte gemeinsam zu beschreiben, Gedanken zu erklären, Fragen aufzugreifen und darüber zu philosophieren.
Weiterhin ist es hilfreich, den Aufbau von Gedichten kennenzulernen. Aus den Klassenstufen 1 und 2 sind den meisten Kindern die „kurzen Gedichtformen“ und ihr Aufbau bekannt. Dieses Wissen kann nun aktiviert werden, um auch längere Gedichte zu beschreiben.
Kurze Gedichtformen sind vor allem im Anfangsunterricht der Grundschule beliebt. Die Wort- und Satzebene spielt bei diesen Gedichtformen eine zentrale Rolle. Durch den einfachen Aufbau können Kinder erste eigene Gedichte verfassen.
- Akrostichon (Wortebene)
- Abecedarium (Wortebene)
- Bildgedicht (Wortebene)
- Schneeballgedicht (Satzebene)
- Stufengedicht (Satzebene)
- Haiku (Silben)
- Elfchen (Wort-/Satzebene)
- Rondell (Satzebene)
Merkmale von Gedichten
Im Gegensatz zu den kurzen Gedichtformen mit einem festen Bauplan (z.B. Anzahl von Wörtern oder Silben pro Zeile), lassen sich für Reimgedicht typische Merkmale bestimmen. Vielen Kindern ist der Reim als Besonderheit von Gedichten am Zeilenende bereits bewusst. Weitere Fachbegriffe wie Zeile, Vers, Reim (umarmend, Kreuz-, Paarreim), Strophe, (Zeilensprung) sollten schrittweise eingeführt werden (vgl. → Sonettchen). Neben Reimen und weiteren Aspekten zeichnen sich Gedichte durch ihre bildhafte Sprache aus. Stilmittel wie Metaphern oder Vergleiche machen sie anschaulich und regen die Fantasie an. Inhaltlich greifen sie vielfältige Themen auf: von Alltagsbeobachtungen über Gefühle bis hin zu philosophischen Fragen (vgl. → Die Zeit).
Unterrichtsidee
Eine Komplexe Leistung zum Thema Frühlingsgedichte
Thema: | Wir verfassen Reimgedichte |
Lernbereiche: | Schreiben, Lesen, Sprache, Rechtschreibung, Sprechen und Zuhören (→ Integrativer Deutschunterricht) |
Klassenstufe: | 4 |
Einstieg / Motivation
Stummer Impuls im Sitzkreis:
→ die Buchstaben G-E-D-I-C-H-T einzeln auf A4-Papier gedruckt auslegen
„Welches Wort findest du?“
Neben dem Wort „Gedicht“ lassen sich zahlreiche weitere Wörter bilden, sodass ein gemeinsames Nachdenken über Wörter und Sprache möglich ist (z.B. ich, dich, dicht, Teich, geht …).
Erarbeitung
„Was ist ein Gedicht?“ / „Woran erkennst du ein Gedicht?“ / „Ist das immer so?„
- gemeinsam werden Merkmale erarbeitet und Fachbegriffe werden benannt (und an der Tafel notiert)
Besonderheiten von Gedichten werden ebenfalls gemeinsam erarbeitet und in einem Tafelbild festgehalten. Es bietet sich an, diese Merkmale an einem konkreten Gedicht mit der Klasse zu besprechen:
- „interessante“ Worte, Worterfindungen, Lautmalerei
- reine, unreine Reime/ reimlose Zeilen
- verkürzte Sätze
- Groß- oder Kleinschreibung (am Zeilenanfang)
- Satzzeichen (z.B. Kommas am Zeilenende)
- Rhythmus, Silben
„Wie schreibe ich ein Gedicht?“
Als Beispiel kann ein Gedicht über Gedichte wie eines der Folgenden dienen, welches Ausgangspunkt für ein Unterrichtsgespräch, ein Impuls für das Philosophieren über Gedichte oder ein Denkanstoß an der Tafel sein kann:
es kommt ein Augenblick
ein Wort nimmt seinen Lauf
ich darf es jetzt nicht stören
nur schreiben, sehen und hören
Walther Petri (2010), Auszug aus „Meine Gedichte“. In: Gelberg, Hans-Joachim (Hg.): Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene. Gedichte und Bilder aller Art. Beltz & Gelberg. 2011.
Gedichte leben
nur, wenn du sie liest
und mit ihnen lebst
und nach ihnen siehst
Bernd Lunghard (1996), Auszug aus „Gedichte sind wie Vögel“. In: Gelberg, Hans-Joachim (Hg.): Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene. Gedichte und Bilder aller Art. Beltz & Gelberg. 2011.
Die Klasse überlegt gemeinsam, Tipps werden an der Tafel notiert, z.B.
- Thema finden
- Reimwörter sammeln
- Sätze schreiben
- überarbeiten
- Rückmeldungen einarbeiten
Zusätzlich könnten weitere Beispiele oder Gedichte von Schülerinnen und Schülern zur Inspiration genutzt werden. Durch das Vergleichen und Wahrnehmen verschiedener Gedichtformen kann die Vielfalt von Gedichten deutlich gemacht werden und die Kinder zum Verfassen eigener Gedichte angeregt werden.
Arbeitsauftrag
1. Schreibe selbst ein (Reim-)Gedicht. Finde interessante Wörter und gelungene Reime.
2. Gebt euch gegenseitig Rückmeldungen. Überarbeite dein Gedicht.
3. Schreibe das überarbeitete Gedicht sauber auf. Gestalte es passend.
Einige Arbeitsergebnisse
Möglichkeit zur individuellen Leistungsbewertung
Der Arbeitsauftrag kann als Komplexe Leistung mit mündlichen, schriftlichen und praktischen Anteilen gestaltet werden. Den Schülerinnen und Schülern werden drei bis fünf verschiedene Gedichte zur Wahl angeboten. Diese können gemeinsam gelesen und besprochen werden, bevor die Klasse mit der Bearbeitung der Komplexen Leistung beginnt. Die Aufgaben werden nicht direkt auf dem Arbeitsblatt bearbeitet, sondern von den Kindern in ihren Heften oder auf Einzelblättern notiert, um später zu einer portfolioähnlichen Mappe zusammengefasst zu werden.
Auswahl an Frühlingsgedichten: Leise zieht durch mein Gemüt (Heinrich Heine), Er ist’s (Eduard Mörike), Maler Frühling (Heinrich Hoffmann von Fallersleben), Die Tulpe (Josef Guggenmos), Der Zitronenfalter (Edith Schreiber-Wicke), Der Frühling kommt bald (Christian Morgenstern), Neuer Frühling (Heinrich Heine)
Komplexe Leistung, Beispiel „Frühlingsgedicht“
Komplexe-Leistung-Fruehlingsgedichte-SchulimpulseAufgaben und mögliche Bewertung
❶ Wähle ein Gedicht aus und lies es jemandem vor. (1 P.)
❷ Sprich mit einem Partnerkind über das Gedicht. Was fällt dir auf? Begründe, warum du dich für das Gedicht entschieden hast. (1 P.)
❸ Schreibe das Gedicht sauber und fehlerfrei ab. Gestalte es passend. (4 P.)
❹ Finde 5 Substantive in deinem Gedicht und schreibe sie mit Artikel in der Einzahl (Singular) und Mehrzahl (Plural) auf. (5 P.)
❺ Suche im Text 3 Adjektive und steigere sie. (3 P.)
❻ Wähle ein Verb aus dem Gedicht aus und schreibe es jeweils in der richtigen Form in die Tabelle. Setze zuerst die richtigen Personalpronomen ein. (7 P.)
❼ Lerne das Gedicht und trage es auswendig vor. Tipp: Besprich mit einem Mitschüler deine Betonung, Mimik, Gestik, Lautstärke und Tempo. (5 P.)
❽ Erfinde ein eigenes Frühlingsgedicht. Schreibe es sauber auf und gestalte es. (4 P.)
Hinweise zum Arbeitsprozess
Die unterschiedlichen Zugänge zum Schreibprozess der Kinder sollten unbedingt zugelassen, begleitet und angeleitet werden. Mögliche Vorgehensweisen dabei sind:
- vom Inhalt zum Gedicht („Ich schreibe über Pferde“)
- von den Reimen zum Gedicht („Was reimt sich auf Frühling?“)
- von der Geschichte zum Gedicht
Der Arbeitsprozess sollte möglichst individuell unterstützt werden. Dabei nimmt die Lehrperson eine beratende Funktion ein. Weiterhin sollten
- Wörterbücher bereitliegen,
- Zusammenarbeit der Kinder ermöglicht werden (z.B. gegenseitiges Vorlesen und Überarbeiten),
- regelmäßige Feedbackrunden in der Klasse eingeplant sowie
- wertschätzende Rückmeldungen vorgelebt werden.
Abschließend kann eine Präsentation / Ausstellung in der Klasse oder dem Schulhausorganisiert werden, bei der die Autorinnen und Autoren ihr Gedicht vorstellen.
Frühlingsgedichte von Kindern
Weitere Gedichte von Kindern zum Thema „Jahreszeiten“
Das Verfassen eigener Gedichte bietet Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen, Gedanken und Emotionen kreativ auszudrücken. Beim spielerischen Umgang mit Sprache erweitern sie auch ihren Wortschatz. So wird nicht nur die Freude am Schreiben geweckt, sondern auch der sprachliche Ausdruck gefördert.
Judith Köhler, Mitwirkung: Andreas Grajek
Letzte Aktualisierung: 27. Dezember 2024