Generation Europa: More than neighbours
Das generationenverbindene Lernen und die vielen gemeinsamen Aktivitäten von Grundschülerinnen und Grundschülern, Seniorinnen und Senioren sowie Studierenden, welche ich als Klassenlehrer begleite, bieten unzählige und vielfältige Lernanlässe. Die Aktionen reichen vom gemeinsamen Experimentieren im Sachunterricht über Projekttage in englischer Sprache bis hin zu Schülern im Hörsaal der Universität oder einer gemeinsamen Musical-Aufführung und bieten allen Beteiligten ein reichhaltiges Erfahrungsspektrum. Um einen Eindruck von der Entstehung des Projekts und den Möglichkeiten des generationsübergreifenden Lernens zu erhalten, kommen im Folgenden einige der Beteiligten zu Wort.
Dr. Carola Weise über die Ursprünge und die Beweggründe hinter dem Projekt:
Wie aus Ideen und Beobachtungen coole Projekte werden
Während meiner Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU-Chemnitz an der Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft (AEW), erhielt ich von meinem Chef, Prof. Dr. Koring, den Auftrag, bei einem Projekt von Prof. Dr. Schöne mitzuwirken, welches sich mit dem Leitgedanken beschäftigte, dass die Idee der Europäischen Union über gemeinsame Lernprozesse von Senioren verschiedener Länder sich weiter festigen sollte. In Vorgängerprojekten standen vor allem das Erlernen der englischen Sprache durch die Senioren sowie Treffen im Vordergrund, um die Kultur der jeweils beteiligten Länder besser kennen zu lernen.
So ein Projekt an der AEW war für mich die Chance, auch ein paar neue Ideen mit einzubringen. Ich habe eine große Familie, in der eigentlich vier Generationen miteinander Zeit verbringen. Aus der Beobachtung heraus, dass meine Kinder ihren Großeltern auf eine besondere Weise zuhören und sich auch oft von ihnen gut verstanden fühlen, entwickelte sich die Vorstellung, dass das intergenerative Lernen eine sehr gute Möglichkeit ist, sich mit den Veränderungen über die Zeit hin zur europäischen Union gemeinsam zu beschäftigen. Und es gab noch eine Parallele. Meine Tochter begann in der 3. Klasse Englisch zu lernen, ähnlich wie die Senioren des TU-Projektes.
Interessante Ideen bleiben oft nur Ideen, wenn man nicht die Menschen findet, die auch bereit sind, zusätzlichen Projekten Raum zu geben und sich dafür einzusetzen. Diesen Menschen fand ich im sowohl im Projekt der TU, vor allem in Frau Morgner und Herrn Bartoll, als auch im Klassenlehrer meiner Tochter, Herrn Grajek, und der Schulleiterin, Frau Gädke.
Sehr unkonventionell wurden gemeinsame Projekttage an der Schule sowie Wandertage nach Chemnitz organisiert. Vor großer Zuhörerschaft am Senioren-Kolleg wurden die Ergebnisse dieser Arbeit präsentiert. Gemeinsames Lernen macht Spaß, dazu ist man nie zu klein und nie zu alt…
Zu Wort kommen auch die Paten der Grundschüler aus Freiberg:
Klaus Bartoll, welchen Wert messen Sie den gemeinsamen Aktivitäten (z.B. Wandertage, gegenseitige Besuche, Projekte) mit den Kindern bei?
Ich denke, dass die gemeinsamen Veranstaltungen mit Schülern und Senioren dazu beitragen, den Kindern zu zeigen, dass gemeinsame
Aktivitäten und Gespräche zwischen Kindern und Senioren durchaus Sinn machen. Die Kinder erfahren dabei, dass die „Alten“ ihnen durchaus noch etwas vermitteln können. Mich als Senior bereichern die gemeinsamen Aktivitäten ungemein in der Hinsicht, dass ich dabei immer das Gefühl habe, wirklich noch mitten im Leben zu stehen. Es macht unser Leben reicher und interessanter, wenn wir uns mit dem Leben und den Problemen der jungen Generation beschäftigen. Es hilft uns dabei, unsere moderne Gesellschaft nicht nur aus dem Blickwinkel des Senioren zu sehen.
Wie ist Ihr Eindruck: Gelingt das Voneinander- und Miteinander-Lernen?
Ich bin der Meinung, dass diese Frage auf alle Fälle mit „Ja“ zu beantworten ist. Anzumerken ist dabei, dass nach meiner Meinung die Basis für den Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit das große Engagement des Klassenleiters und des Horterziehers der Schüler, sowie der an der Patenschaftsarbeit beteiligten Senioren ist.
Können Sie Ihre Erfahrungen beim Englisch-Lernen schildern?
Ich habe in der Schule nie Englisch gelernt, weil ich die Grundschule 1955 nach der 8. Klasse verlassen und einen Beruf erlernt habe. Ich habe erst nach der deutschen Wiedervereinigung als Senior Englischkurse an der Volkshochschule und später im Rahmen des Seniorenkollegs an der TU Chemnitz besucht. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass ich in der Lage sein wollte, mich mit Menschen anderer Länder verständigen zu können.
Welche Beobachtungen machen Sie in der Schule heute im Vergleich mit Ihrer eigenen Schulzeit?
Wir sind in den Nachkriegsjahren aufgewachsen (meine Schulzeit war 1947 bis 1955). Die Bedingungen in den Schulen in diesen Jahren sind mit den heutigen nicht mehr zu vergleichen. Daraus resultiert natürlich, dass wir als Kinder mit ganz anderen (vor allem materiellen) Problemen konfrontiert wurden. Wir mussten uns als Kinder vieles erarbeiten, dass die Kinder heute (auch Gott sei Dank) als gegeben ansehen. Die Lehrer hatten in unserer Schulzeit mehr Autorität. Heute sind die Schüler viel selbstbewusster als wir es waren. Unser Spielzeug war einfach, oft von den Vätern selbst hergestellt. Wir spielen oft im Freien, es gab keine Computer und kein Fernsehen. Viele Kinder wurden allein von den Müttern erzogen, weil die Väter im Krieg umgekommen waren.
Ingeborg Morgner, welchen Wert messen Sie den gemeinsamen Aktivitäten (z.B. Wandertage, gegenseitige Besuche, Projekte) mit den Kindern bei?
Aus meiner Sicht beginnt bereits mit der Planung aller Aktivitäten für ein Schuljahr die Erarbeitung der Zielstellung des Projektes. Man wird als Senior gefordert, altersgemäße und für die Kinder interessante Dinge zu planen, die einerseits einen Wissenszuwachs aber auch andererseits erzieherische Aspekte beinhalten. Z.B. Wandertage (entlang der Freiberger Mulde oder entlang der Zschopau), Senioren und Schüler erfahren gemeinsam Interessantes zum Naturschutz, experimentieren gemeinsam, staunen über die Versuche, diskutieren und erreichen beide einen Wissenszuwachs bzw. eine Wissensregenerierung.
Während der Veranstaltungen selbst lernen sich Senioren und Kinder auch persönlich näher kennen. Z.B. Gegenseitige Besuche (Teilnahme am Unterricht – Sachunterricht, Englischunterricht, Zeugnisausgaben) bieten gute Möglichkeiten, den Kindern im unaufdringlichen Gespräch bestimmte Werte zu vermitteln:
- Notwendigkeit für ständiges Lernen und Weiterlernen (auch anhand eigener Lebenserfahrungen),
- Verantwortung eines jeden einzelnen für körperliche Fitness,
- Kontakte zwischen Schülern, Senioren und internationalen Studierenden sollten dazu beitragen, dass Menschen aller Hautfarben, Kulturen usw. friedlich und gut miteinander leben können,
- Disziplin, Fleiß, aber auch Höflichkeit und gegenseitige Achtung werden aus meiner Sicht entwickelt.
Ich habe das Empfinden, dass durch die Kontakte die Achtung gegenüber älteren Menschen wächst (höflicher Umgang, Redewendungen usw.)
Ich empfinde große Hochachtung dafür, wie es den beiden Klassen und ihren Lehrern gelungen ist, dieses Musical für den Weltkindertheatertag einzustudieren. Hier wurden hohe Anforderungen an die Schüler gestellt, die über die im Unterricht geforderten weit hinausgehen. Engagement, Fleiß, Ideen und Begeisterung trugen zum Gelingen des Projektes bei.
Ich fühlte mich durch die kleine Integration in das Stück als Teil des Teams. Erinnerungen an frühere Engagements dieser Art wurden wieder wach; es war ein gutes Gefühl.
Vielleicht haben auch die Schüler ein bisschen darüber gestaunt, wie man auch im Alter sich noch jung fühlen kann.
Können Sie Ihre Erfahrungen beim Englisch-Lernen schildern?
Ich hatte während meiner Schulzeit nur zwei Jahre Englischunterricht, hatte aber während meiner beruflichen Tätigkeit viel Kontakte zu Schülern und Englischlehrern.
Nach meiner Pensionierung (2003) begann ich mit der Weiterentwicklung meiner Fähigkeiten
- Besuch von Kursen in der Volkshochschule
- regelmäßiger Besuch eines Englischkurses (90 min pro Woche) im Seniorenkolleg und das auch heute noch nach 13 Jahren
- Anwendung und Weiterentwicklung der Sprachkompetenz durch die Arbeit in internationalen Projekten für Senioren (Grundvigh, Erasmus + usw.)
- Email-Kontakte in Englisch zu Partnergruppen usw.
- Reisen in englischsprachige Länder usw.
Einen wesentlichen Anteil am derzeitigen Stand meiner Kenntnisse besitzen unsere Kontakte zu den internationalen Studierenden unserer Universität im Rahmen des Patenschaftsprogramms. Englisch und Deutsch sind hier gleichermaßen gefordert. Studenten und Senioren profitieren davon.
Schülern würde ich mit auf den Weg geben:
- Im Rahmen unserer heutigen globalen Welt sind Kenntnisse in anderen Sprachen unerlässlich.
- Sprachenlernen erfordert eine gewisse Disziplin, Fleiß aber auch Freude am Lernen.
- Lest einfache Bücher, gestaltet fremdsprachige Spiele, singt Lieder usw.
- Nutzt viele Gelegenheiten in der Anwendung eurer erworbenen Kenntnisse wie z.B. beim Treffen mit unseren Studierenden in der Uni Chemnitz.
Welche Beobachtungen machen Sie in der Schule heute im Vergleich mit Ihrer eigenen Schulzeit?
Diese Frage ist für mich nicht so leicht zu beantworten, da ich den überwiegenden Teil meines Lebens mit jungen Menschen Kontakt hatte, ist ja beim Lehrerberuf einfach Voraussetzung. So konnte ich die Entwicklung junger Menschen aus beruflicher Sicht über 40 Jahre hautnah verfolgen.
Ja, was ist anders? Erinnerungen an meine Schulzeit sagen mir, gelernt wurde und musste früher ebenso wie heute. Sprichwort : Ohne Fleiß kein Preis! Es geht dabei darum, wie gelernt wurde: in meiner Zeit war es sehr auf ein gewisses „ Einpauken“ von Fakten, Vorgängen usw. orientiert. Es lag an den Lehrern, inwieweit es auch lustbetont war. Projektunterricht usw. gab es in den Endvierzigern und Fünfzigern kaum oder nicht. Viele der Aktivitäten, die die Klasse 3a heute unternimmt, fanden in meiner Schulzeit im Rahmen der außerschulischen Arbeit (Arbeitsgemeinschaften, Ferienlager usw.) statt.
Sind die Schüler heute anders als wir? Nein! Die gesellschaftliche Entwicklung erforderte eine Veränderung des Erziehungsstils, der Lernmethoden usw. in Schule und Familie. Unsere heutigen Schüler sind oft selbstbewusster als wir, dies ist auch nötig in der heutigen Zeit. Sie lernen ebenso zielstrebig wie wir, nur oft auf eine andere Art und Weise als wir. Selbständiger Wissenserwerb gehört einfach zum Lernen dazu und unsere Kinder werden schrittweise an diesen herangeführt. Sorge bereitet mir mitunter jedoch, dass nicht wenige Elternhäuser ihre Verantwortung für die Erziehung immer mehr auf die Schule übertragen.
Letzte Aktualisierung: 14. August 2023